Dr. O. Hoffmann
Oft ist das Denken schwer,
indes, das Schreiben geht auch ohne es.
Wilhelm Busch
2004-12-12/24, 2005-01-04/08, 2005-02-05, 2005-07-02, 2007-07-01/09, 2007-12-25, 2008-04-06, 2008-11-29
Ein generelles Problem aller digitaler Medien ist die dauerhafte Archivierung. Archivierung und gute Zugänglichkeit sind enge Verwandte, denn archivieren heißt ja, Daten für die Zukunft zugänglich machen - und wer weiß schon, was die Zukunft bringen mag? Das Archivierungsproblem ist direkt mit dem großen Vorteil, der uneingeschränkten Editierbarkeit von solchen Daten verknüpft. Wenn wir uns erinnern an unsere ersten digitalen Daten, vielleicht noch auf Lochkarten oder Lochstreifen, vielleicht bereits auf Magnetbändern gespeichert oder gar auf Disketten, wer könnte sich die heute noch ohne Probleme zugänglich machen?
Dieses Problem tritt bei aller hardware zur Speicherung digitaler Datenformate auf. Sie veralten im Gegensatz zu chlorfreiem Papier, Pypyrus, Stein oder Ton sehr schnell. Der Grund dafür ist eher ein skrupelloser Kapitalisums der Herstellerfirmen als wirklich gravierende technische Fortschritte. Die derzeit (2007) aktuellen DVD haben lediglich einen Qualitätsstand, der vielleicht für fünf bis zwanzig Jahre bei sorgfältiger Aufbewahrung reichen mag. CDs mögen etwas länger halten. Aber wird man in zwanzig oder fünfzig Jahren noch Lesegeräte dafür haben? Werden die noch in jedem Rechner eingebaut sein? Es gibt auch bereits Lebewesen, die DVDs und CDs mit großem Appetit zerstören, wenn ihre Lebensbedingungen günstig sind. Es ist ebend dumm gelaufen, wenn auf einem solchen vertilgten Speichermedium wichtige Daten gewesen sein sollten.
Aber es kommt noch schlimmer, die Datenformate sind noch gefährdeter, insbesondere
wenn es sich nicht um standardisierte Klartextformate handelt. Wie sieht es aus mit den
alten Pixelgraphiken vom Atari? Funktionieren die microsoft-word-Formate von vor
10 Jahren auf einem MacIntosh-Rechner, einem Unix- oder Linux-System aus heutiger
Zeit immer noch? Nein? Schade. Oder vielleicht dort sogar eher als auf dem neuesten
microsoft-System, welches ja auch für viel Geld verkauft werden will?
Klartextformate sind weniger gefährdet. ASCII-Textdokumente
von meinem Atari von 1990 kann ich heute noch problemlos auf meinem Linux-Rechner verwenden.
Vorausgesetzt,
die Daten sind auf geeigneter hardware gespeichert, wird das auch mit XHTML-Dateien in
zwanzig oder fünfzig Jahren noch klappen. Aber ob dies mit den digitalen Videos meines
Bruders (ich weiß nicht einmal, wie das Format heißt!) klappen wird, wage ich
zu bezweifeln. Wenn er Glück hat, handelt es sich um
MPEG,
das ist wenigstens ordentlich dokumentiert.
Beliebt sind bei Textformaten auch solche der Firma microsoft oder der Firma Adobe,
bei letzterer sind es PS
und PDF.
Während PS noch so gehandhabt werden kann (aber nicht muß), daß
es sich um ein Klartextformat handelt, ist das neuere PDF dagegen ein Rückfall
auf ein Format mit firmeneigener Kodierung. Derart abgespeicherte Dokumente lassen
sich nur noch schlecht unabhängig von der Herstellersoftware editieren, es
handelt sich im Grunde um Wegwerfformate wie die der Firma microsoft auch.
Sie sind allesamt für eine dauerhafte Archivierung komplett ungeeignet, weil
die eigentliche Textinformation komplett oder teilweise verschlüsselt ist und
so ganz verloren ist oder nur mit größerer Mühe zu rekonstruieren,
wenn diese Hersteller die Formate einmal aufgeben sollten, was immer deren
willkürliche Entscheidung ist. Das trifft nur eingeschränkt auf PS zu,
weil dieses Format, welches sich auch für Vektorgraphik eignet, auch mit
zahlreicher unabhängiger software erzeugt und angesehen werden kann,
allerdings ist es auch dort immer das Endprodukt. Editieren tut man vorausgehende
Klartextformate.
Weitere sehr bekannte Wegwerfformate kommen von der
Firma macromedia (nunmehr auch Adobe), von denen besonders das proprietäre
SWF sehr verbreitet ist,
welches auch fürs internet oder zum Archivieren komplett ungeeignet ist.
Allen gemein ist allerdings die binäre Speicherung. Wenn dafür die Dekodierung verloren geht oder auch nur bei den nicht Klartextformaten die Abspielprogramme, so ist alles verloren. Die Vorteile der dauerhaften Editierbarkeit erkaufen wir uns mit einer schnellen Vergänglichkeit, die natürlich im Interesse der Hersteller liegt, die damit immer wieder neues verkaufen können, und somit viel mehr an Schnellebigkeit, Kundenbindung und überhaupt nicht an Archivierbarkeit interessiert sind. Bei hardware und proprietären Formaten sind wir mehr oder weniger der Willkür der Industrie ausgeliefert. Bei den Datenformaten können wir immerhin auf Standardformate setzen, die noch am robustesten sind und dem Zeitgeist strotzen.
Für die Zukunft droht eine Gesellschaft ohne digitale Vergangenheit. Die Kontinuität einer hohen technologischen Kultur in Verbindung mit hohem archivarischen Aufwand ist notwendig, um digital gespeicherte Kulturgüter in die Zukunft zu retten. Es bleibt zu hoffen, daß in Zukunft auch wieder solide analoge Speicherformate entwickelt werden, mit denen Texte dauerhaft und direkt zugänglich bleiben. Ein Stein von Rosetta für binäre Daten kann auch eine Lösung sein, wenn eine solche Verknüpfung mit analoger Sprache, vielleicht mit einer Lupe zu lesen, auf jedem Speichermedium vorhanden ist. Das ist aber nur sinnvoll, wenn nicht immer wieder neue Formate entstehen, sondern Standards über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte genutzt werden.
Eine andere Möglichkeit zumindest für Schrift wäre das Abspeichern mit
analogen Standardbuchstaben. Bei einer standardisierten Symbolform sollten solche Daten auch
von Rechnern wieder einlesbar sein, nahezu ebenso einfach wie Binärformate.
Mit einer simplen Lupe sollte es immerhin dann auch gehen. Holographische Gravuren
in geeigneten Kunststoffen, Kristallen oder Glas mögen dann eine dauerhafte Archivierung
gar über Jahrtausende gewährleisten. Weitgehend ungelöst auch theoretisch
ist jedenfalls die dauerhafte Archivierung von digitalen Bildern, Tönen und Filmen,
da diese nahezu zwangsläufig recht spezielle Anzeigeprogramme benötigen.
Auch hier gibt es bereits einige Klartextformate, die standardisiert wurden und die
ihren proprietären Vorgängern vorzuziehen sind. Besonders bekannt ist
da für die Vektorgraphik inzwischen
SVG,
die skalierbare Vektorgraphik, die inzwischen einige Graphikanwendungen ersetzen kann,
besonders im Bereich der Computergraphik und der Animation, auch zusammen mit dem Format
SMIL.
Leider bleibt die digitale Photographie einstweilen mit
JPEG der Pixelgraphik vorbehalten, weil
dafür eine große Datenkompression notwendig ist.
Niemand sollte also einstweilen daran glauben, daß die eigenen Enkel die digitalen
Jugendbilder oder Filme über ihre Eltern noch werden ansehen können.
Umso wichtiger ist es da, zumindest alternative Textinformationen zu archivieren, um der
Nachwelt zumindest etwas Dauerhaftes aus unserer Zeit zu vererben.
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