Über mich

Dr. O. Hoffmann

Literatur im internet

Literatur hat mich schon seit meiner Kindheit interessiert. Die Möglichkeit, eine andere Welt zu erschaffen, wenn auch nur mit Worten und in Gedanken, hat mich sehr fasziniert. Anderen zu ermöglichen, daran teilzuhaben, ihnen eigene Ideen und Werte zur Diskussion zu stellen, hat mich begeistert.

Aus heutiger Sicht als Experimentalphysiker möchte ich natürlich nicht verschweigen, daß es selbstverständlich viel einfacher ist, im Kopf die Vorstellung irgendeiner fiktiven Welt zu erschaffen, als Modelle zu formulieren, die die reale Welt um uns herum innerhalb einer angegebenen Genauigkeit beschreiben. Die Möglichkeiten des menschlichen Geistes sind sehr beschränkt, praktisch zwangsläufig sind sämtliche Ideen des Gehirns von vorne herein Fiktionen. Beschreibungen der Welt sind immer krude Vereinfachungen, Illusionen, Irrtümer eines Verstandes, der in Echtzeit auf die Welt reagieren muß und nicht die Zeit hat, den Dingen auf den Grund zu gehen, sofern es einen solchen überhaupt geben sollte.

Die Kunst der Naturwissenschaft ist es eben, sich durch Experiment und Modell eine Repräsentation der Welt zu erdenken, die im Rahmen der geforderten Genauigkeit paßt.
Das Amt des Dichters ist ungleich bescheidener, er muß nur die Illusion irgendeiner Welt in den Gedanken des Publikums erwecken. Dabei geht es nur darum, daß diese Idee einer Welt mit den beschränkten Möglichkeiten in den Gehirnen des Publikums hinreichend plausibel erscheint. Die Fiktion des Dichters muß also nicht gegenüber harten Experimenten bestehen, nur gegenüber der Intuition des Publikums im Rahmen einer implizierten Übereinkunft, was man so als Eingangsannahme über die fiktive Welt durchgehen lassen kann.
Wenn es gut für das Publikum läuft, vermittelt das Werk, die Illusion etwas, was neue Ideen liefert, etwas, worüber man nachdenken, diskutieren kann, was etwa hinsichtlich ethisch-moralischer Verhaltensweisen Maßstäbe anbietet, was geht und was man besser bleiben läßt. Glaubhaft sind solche, vom Autor intendierten Absichten allerdings eher, wenn sie entweder nicht bewußt auffallen oder in einer glaubhaften Fiktion eingebettet sind. Stößt sich das Publikum an grobem Unfug in der Ausschmückung, wird auch meist die Botschaft nicht ernst genommen. Allerdings können auch gezielt eingesetzte Verfremdungseffekte dazu dienen, das Publikum gerade über das Werk und seinen Inhalt reflektieren zu lassen, was allerdings nicht funktioniert, wenn statt kunstvoller Verfremdung einfach unausgegorener Unfug serviert wird.
Indessen, weite Teile des Publikums, vielleicht auch der Autoren, sind eher einfachen Gemütes und sind dann oft auch mit recht Belanglosem zufrieden, wie wäre sonst zu erklären, daß so viele Autoren mit Belanglosem relativ gut durchkommen?

Nicht zu leugnen ist somit die Flut von kommerzieller Literatur, die nur dazu geschaffen scheint, um ihre Autoren zu nähren und vom Publikum verkonsumiert zu werden. Ist jemand schon ein guter Autor, nur weil ein breites Publikum seine eventuell recht belanglosen Werke zu kaufen bereit ist? Ist jemand ein guter Autor, wenn sich Kritiker finden, die ihn als solchen einschätzen? Hängt der Erfolg an der Zahl der verbreiteten Kopien seiner Werke oder doch eher daran, ob der Autor selbst meint, mit dem Werk das formuliert zu haben, was seine eigentliche Idee war? Ist ein Autor erfolgreich, wenn es ihm gelingt, originären Inhalt, neue Ideen zu veröffentlichen?

Die Literatur-Flut an Belanglosem zur bloßen Unterhaltung desillusioniert indessen aber auch den literarisch Kreativen und führt unweigerlich zu inneren Immigration. Andererseits ist belanglose, aber gut geschriebene Unterhaltung nicht zwangsläufig schlecht, Entspannung in der Phantasie ist wichtig für den gequälten Geist, wer anderen Menschen dies ermöglicht, erfüllt allemal eine ehrenvolle Aufgabe, ganz gleich, wie belanglos die dazu verwendeten Werke sein mögen.

Ein gewisser Ausweg aus der inneren Immigration ist durch das internet entstanden - eine wahrlich demokratische, gar freiheitliche, anarchische Plattform zum Informationsaustausch. Jeder kann Information anbieten und jeder kann sie lesen oder allgemeiner rezipieren, ein Austausch unter gleichen. Wer aber die Informationen nutzen will, muß auch selbständig Gehalt und Qualität einordnen - und vor allem muß das Publikum die Information erst einmal in der gewaltigen Flut von elektronischem Rauschen finden. Keine einfache Aufgabe und doch eine Chance für den selbstbestimmten Leser, der den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Allein, herauszufinden, was zu lesen lohnt, kostet auch eine Menge Zeit, eventuell auch Geld und so beschränkt die Flut auch ganz praktisch wieder den Zugang. Gleichzeitig erleichtern digitale Formate aber auch das digitale Suchen nach Information, es wird also auch Zeit beim Finden von Information gespart, jedenfalls wenn die Information barrierefrei zugänglich gemacht wird, eben auch Robotern von Suchmaschinen, welche dann dem Einzelnen helfen können, die Information zu finden, die aktuell wirklich gefragt ist.

Der Mehrwert semantisch ausgezeichneter Literatur in einem zugänglichen digitalen Format liegt natürlich auch darin, daß das Verständnis des Inhaltes erleichtert wird, der Autor kann gezielt Inhalt so auszeichnen, wie er gemeint ist, kann seine Ideen also präziser mit einer formalen Struktur und Sprache notieren. Digitale Information ist nicht an ein bestimmtes Ausgabemedium gebunden wie etwa das klassische Buch, die Schallplatte oder die Videokassette. Digitale (Text-)Information in einem Format kann prinzipiell in andere Formate transformiert werden, kann in verschiedenen Ausgabemedien präsentiert werden. Somit ist es viel einfacher, Inhalte und Ideen allen barrierefrei zugänglich zu machen.

Brauchte man früher einen Verlag, um Literatur in Buchform zu veröffentlichen, so kann ein Autor heute alles recht einfach allein bewältigen, sofern nur Ausgabemedien verwendet werden, welche digitale Information direkt darstellen können. Ob nun Literatur direkt per XHTML verfügbar gemacht wird oder mit einem Archivformat wie EPUB als eigenständiges Buch angeboten wird - all dies kann ein Autor recht einfach selbst bewältigen, ohne die Hilfe von anderen Personen in Anspruch nehmen zu müssen oder sich gar bevormunden oder zensieren zu lassen. Der Verlagsfilter einschließlich seiner zwangsläufigen kommerziellen Brille, die dadurch bedingt ist, daß der Druck und die Verbreitung von Büchern, Schallplatten etc, also realen Objekten zwangsläufig eine Investition bedeutet, fällt somit weg, was relevant für eine Veröffentlichung ist, entscheidet im Zweifelsfalle der Autor allein, ist damit aber auch allein verantwortlich für Korrekturen oder übersehene Fehler. Wie es so schön heißt: Viel Macht bringt auch viel Verantwortung mit sich. Viele Autoren setzen sich darüber allerdings recht leichtfertig und naiv hinweg. Mit dem unbedarften Mut des Laien schreiten sie voran und veröffentlichen eben ohne jeglichen Filter und jegliche Kontrolle oder Instanz einer Kritik, die dann im günstigen Falle vielleicht noch nach einer Veröffentlichung eintritt.

Korrekturen und permanente Verbesserung und häufige erneute Veröffentlichung aufgrund von Kritik bedeuten natürlich auch eine Abkehr vom abgeschlossenen Werk, alles bekommt einen mehr vorläufigen, transienten Charakter, man schließt mit der Veröffentlichung nicht mehr so recht mit dem Werk ab, das muß erst gelernt werden, wenn man noch jederzeit Zugriff darauf hat, um es zu ändern, wenn neue Einsichten und Informationen kommen. So kann es noch lange Zeit nach der digitalen Erstveröffentlichung dauern, bis ein Autor seinem Werk schließlich eine eigenständige Existenz zuerkennt, in welche er nicht mehr einfach so nach Jahren eingreifen darf. Schließlich, so muß man bedenken, ist man nach Jahren ein anderer Mensch als jener, der die Ur-Version des Werkes einst geschrieben hat. Sollte man nicht auch als Autor sein historisches Ich irgendwann respektieren und allenfalls noch Rechtschreibfehler korrigieren, aber keine inhaltlich relevanten Änderungen mehr vornehmen?
Bei belletristischen Werken ist es sicherlich wichtiger, dem Werk solch eine eigene, eigenständige Existenz zuzuerkennen. Technische Informationen können sich schneller ändern, oder man lernt dazu und will den Lesern nicht länger als notwendig falsche Informationen vorsetzen, was natürlich Änderungen und Anpassungen eher rechtfertigt.

Literatur in digitalen Formaten direkt im internet allen zugänglich zu machen, eröffnet also sowohl neue Möglichkeiten als auch neue Probleme. Was geschrieben steht, kann zu jeder Zeit geändert werden, gut wenn es damit verbessert wird, schlecht bei einer Manipulation. Und schlecht, um die Entwicklung eines Autors nachzuvollziehen. Schlecht auch, wenn man etwas von anderen Autoren zuverlässig zitieren will, wenn diese es irgendwann einfach wieder ändern.
So oder so ändert das neue Medium das Verständnis für die Idee des Begriffes 'künstlerisches Werk'. Das Werk wird einerseits deutlich fragiler, instabiler gegenüber Änderungen, gleichzeitig ist es aber auch viel einfacher zu verbreiten und zu vervielfältigen, wobei ein Autor dann natürlich auch gleich wieder die Kontrolle über die Kopien verliert. Aktualisieren kann er immer nur seine eigene Version, nicht das, was das interessierte Publikum vielleicht schon auf eigenen Speichermedien eingelagert hat. Auf das macht das Verständnis dafür, was ein Werk ist, deutlich fragiler. Ist nun die letzte Version des Autors die Version mit größter Autorität oder geht sie vielleicht unter in der Menge der bereits umlaufenden Kopien?